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Ein Buch für die Ewigkeit
Zu Besuch beim Evangeliar in der Abtei Liesborn

Ein Buch für die Ewigkeit: Zu Besuch beim Evangeliar in der Abtei Liesborn

von GastautorIn am 28.08.2023
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Ein Buch für die Ewigkeit verbirgt sich hinter den Mauern der Abtei Liesborn: Denn seit Mai 2023 ist hier das rund 1000 Jahre alte Liesborner Evangeliar zu sehen. Der Codex ist eine der ältesten, vollständig erhaltenen Evangelien-Handschriften Westfalens. Unsere Gastblogger:innen von www.entdeckerstorys.de haben sich gemeinsam mit Museumsleiter Dr. Sebastian Steinbach auf Spurensuche begeben.

Der kecke Gerwardus

Gerwardus war ein Mann mit zierlicher Handschrift und großem Selbstbewusstsein. Keck behauptet er am Ende des Liesborner Evangeliars, dass er (allein) der Verfasser dieses Werkes sei, das heute als Kulturgut ersten Rangs gilt: Dabei beweisen Analysen der Handschrift, dass mindestens drei kundige Geistliche an der Beschriftung der 338 Pergamentseiten beteiligt waren. „Eventuell gab es einen weiteren Schreiber, der sich nur mit den Initialen, also den großen schmückenden Anfangsbuchstaben, beschäftigt hat“, ergänzt Steinbach. Bekannt ist heute nur noch der Name Gerwardus. Ein Jahrtausend lang hat er — Schwarz auf Weiß beziehungsweise Dunkelbraun auf Pergament — überdauert, während seine Mitstreiter aus der mittelalterlichen Schreibwerkstatt im Nebel der Zeit versunken sind.

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Für einen Platz im Himmel

Es ist eines der Rätsel, die das Liesborner Evangeliar bereit hält. Auch sein Entstehungsort ist nicht eindeutig: „Die Untersuchungen der Schrift deuten auf eine Werkstatt aus dem Kölner Raum hin“, weiß der Museumsleiter, „aber genaue Erkenntnisse haben wir bislang nicht“. Fest steht hingegen, dass der Bestimmungsort des Buches ganz sicher Liesborn war. Ein nachträgliches Widmungsgedicht auf der zweiten Seite nennt die um 1040 amtierende Äbtissin Berthildes als Stifterin, eine Schwester des Bischofs Hermann I. von Münster. „Sie widmete das Werk dem Heiligen Simeon, dem Patron der Klosterkirche,
damit ihr Name im Gegenzug in das Buch der Lebenden aufgenommen wird“, schildert Steinbach den Hintergedanken. Und weist zugleich auf eine weitere Besonderheit hin: die Armreliquie des Heiligen, mit der dieser das Jesuskind berührt haben soll und die heute noch im Simeonsschrein im Altar ausgestellt ist. „Dass eine so kostbare Reliquie hier sozusagen ins sächsische Hinterland des 9. Jahrhunderts gelangt ist, zeigt, welche Bedeutung diese Anlage einst hatte“, betont der Mittelalter-Experte. „Liesborn war eines der ältesten und reichsten Klöster Westfalens, sicherlich vergleichbar mit anderen prominenten Klosterstandorten wie Corvey.“

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Zurück in die Heimat

Bei allen offenen Fragen ist Sebastian Steinbach froh, dass eine inzwischen geklärt ist: die nach der Rückkehr des kostbaren Buches an seinen Ursprungsort. Denn nach der Aufhebung des Klosters durch das Königreich Preußen im Zuge der Säkularisation 1803 ging die Handschrift zunächst einmal auf Wanderschaft. Von der Universitätsbibliothek Münster gelangte sie in Privatbesitz des Hammer Professors Ludwig Tross. Ein Glücksfall, denn sonst würde das Buch heute wahrscheinlich sein Dasein im Klimatresor der Staatsbibliothek in Berlin fristen. England, USA, Norwegen: Das Evangeliar ging fortan durch viele private Hände. „2015 stand es dann plötzlich auf der internationalen Kunstmesse TEFAF zum Verkauf“, schildert Steinbach die überraschende Wendung.
Nachdem ein Ankauf in den 80er Jahren schon einmal gescheitert war, setzte der Kreis Warendorf diesmal alle Hebel in Bewegung — und erhielt dank vieler Unterstützer 2017 den Zuschlag. 2018 wurde es zum Kulturgut der Bundesrepublik Deutschland erklärt.

Großer Auftritt für den Codex

Um der außergewöhnlichen Rolle des Codex gerecht zu werden, richtete das Museum in der Folge einen ganzen Flügel für die Präsentation her: Drei Prologräume beschäftigen sich zunächst mit der Frühgeschichte der Abtei Liesborn, ursprünglich ein Damenstift, dessen Gründung auf Karl den Großen zurückgehen soll. Nach der Einführung folgt der große Auftritt des Evangeliars: Ein sakral anmutender Kubus aus 22 bis zu acht Meter hohen Stahlplatten setzt das 338-seitige Buch, für dessen Herstellung 85 Rinder ihr Leben lassen mussten, in einer klimatisch optimierten Glasvitrine in Szene. Die umgebenden Wände präsentieren weitere Einsichten in die Welt der akribisch beschriebenen Seiten.
Eine weitere Besonderheit des Werks, das Pater-Noster-Diagramm aus dem 12. Jahrhundert, das den Weg zu Gott weist, zieht als Projektion auf dem Boden die Blicke auf sich. Als taktile Elemente sind die Charakteristika des Evangeliars auch für sehgeschädigte Menschen erfahrbar. Auf Tuchfühlung gehen können die Besucherinnen und Besucher mit der Nachbildung des um 1500 entstandenen Holzeinbandes mit Kreuzigungsszene und den vier Evangelistensymbolen.

Stöbern in der digitalen Bibliothek

Wer noch tiefer eintauchen möchte in die Welt der mittelalterlichen Handschrift, der ist in der digitalen Klosterbibliothek richtig aufgehoben. Hier können Interessierte virtuell durch die Seiten blättern — neben der originalen Abbildung stehen jeweils der lateinische Text und die deutsche Übersetzung. „Wir hoffen, dass wir diese Bibliothek in der neuen Dauerausstellung des Museums in naher Zukunft durch weitere Exemplare ergänzen können“, schildert Sebastian Steinbach die nächsten Ziele. Neben aller Begeisterung für das Evangeliar erinnert er die Gruppe daran, die anderen Ausstellungs-Highlights nicht zu vergessen. „Wir haben zum Beispiel mit 900 Exemplaren die europaweit größte Sammlung an historischen Kruzifixen und Kreuzigungsdarstellungen.“

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Schönheit, die Jahrtausende überdauert

Zurück in die Vergangenheit, zu Gerwardus in seiner Schreibstube. War er es, der sich den kleinen Fehler bei den Kanontafeln erlaubte? Welche Rezeptur verwendete er für die schwarze und rote Tinte? Wie lange saß das Schriften-Trio überhaupt an den 169 Folia mit den Texten der vier Evangelien, dem Glaubensbekenntnis und den 13 Kanontafeln? Es sind Fragen, die sich vielleicht nicht mehr beantworten lassen. Aber die Schönheit des Werkes — sie ist mit der neuen Ausstellung in Liesborn sichtbarer denn je.

Insidertipp

Hungrig geworden nach der Tour durch die Vergangenheit? In der Gaststätte „Zum Lieschen“ im Dorfkern gibt es deftige Küche mit Flair und guter Laune, die die Gäste kulinarisch vom Münsterland bis nach Uruguay und Südafrika führt.

Über die Gastautorin

Dieser Beitrag wurde verfasst von unserer Gastbloggerin Ines-Bianca Hartmeyer. Ihr wollt mehr von Ines-Bianca lesen? Besucht Sie auf ihrem Blog unter entdeckerstorys.de.

Infos für einen Besuch

Das Museum Abtei Liesborn ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.
Ein umfangreiches Inklusionskonzept ermöglicht den Besuch auch für Menschen mit Handicap.
Ein Media-Guide in deutscher, englischer und niederländischer Sprache sowie für Menschen mit Seheinschränkungen steht ergänzend zur Verfügung Neben der Dauerausstellung bietet das Team regelmäßig Sonderausstellungen an.
Außergewöhnliche Events wie der jährliche Handwerkstag mit seinem bunten Treiben
komplettieren das Programm.
Weitere Infos zu Führungen und Veranstaltungen finden Interessierte auf:
www.museum-abtei-liesborn.de

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