3:50 Uhr – Der Wecker klingelt. Es ist eigentlich viel zu früh, um aufzustehen, aber darauf habe ich mich schon länger gefreut. Der Kreis Coesfeld hat zum Tag der Gärten an der Benedektinerabtei Gerleve eine Sonnenaufgangsführung arrangiert und ich und unser Fotograf Philipp sind mit von der Partie.
Zur blauen Stunde mache ich mich auf den Weg, selbst die Schafe vor der Abtei schlafen noch auf der Wiese. Aber das Licht ist grandios und die Abtei baut sich beeindruckend vor mir auf. Auf dem Kirchhof treffe ich Bruder Markus, der mit Geburtsnamen eigentlich Georg heißt. In einem schwarzen Ordensgewand begrüßt er mich. Einer der ersten Sätze, die er sagt, beeindruckt mich sehr. „Ich wohne seit 40 Jahren hier und würde es nochmal so machen – vielleicht mit kleinen Änderungen, aber ansonsten…“ Wer kann das schon von sich behaupten!? Ich stehe da – beeindruckt von der inneren Ruhe, die er ausstrahlt. Was für ein Satz!
Und so starten wir. Neben mir sind noch ca. 30 weitere Besucherinnen und Besucher anwesend. Bruder Markus stellt sich vor und berichtet von den Tätigkeiten der Klosterbrüder. Sie sind hauptsächlich für die Seelsorge da. Die Abteikirche hat täglich von 5.15 bis 20.45 Uhr geöffnet. Nur während der Mittagspause zwischen 10.00 und 12.00 Uhr sind die Mönche unter sich. Hier gibt es immer ein offenes Ohr. Auch für das Gästehaus nebenan sind die Brüder zuständig. Die ersten Mönche kamen übrigens 1899 nach Gerleve. 124 Jahre später leben noch 35 Mönche und ein Postulant in der Abtei, der Zuwachs ist mittlerweile leider sehr spärlich.
Wir starten mit dem Rundgang und bestaunen als erstes den fehlenden Ostflügel der Kirche. Der sollte eigentlich nachträglich angebaut werden, aber durch die Kriege fehlte immer das Geld und dann hat man es einfach so gelassen. Die scheinbar abgebrochene Mauer sieht unvollendet aus, aber genauso war es von den ca. 100 italienischen Handwerkern wohl gewollt. Ein Stück den Weg runter befindet sich der hofeigene Steinbruch. Die Steine zur Erbauung des Klosters wurden hier aus der Wand geschlagen und vor Ort verbaut. Kurze Wege waren schon damals das A und O!
Weiter geht’s entlang der klostereigenen Felder und Streuobstwiesen. Das Klosterareal beträgt rund 20 Hektar, inklusive Ackerland sind es ganze 64. Die Felder und Wiesen rund um das Kloster werden von einem benachbarten Bauern bewirtschaftet. Dienstags ist Mähtag: Damit nicht jeden Tag Lärm im Kloster herrscht, werden alle Rasenflächen zeitgleich immer dienstags gemäht.
Die Sonne geht über den Bäumen auf und taucht das Kloster sowie die Gartenanlagen in ein wunderschönes Licht. Wir sind mittlerweile bei den beiden Friedhöfen angekommen. Moment – zwei Friedhöfe? Ja, als im Zweiten Weltkrieg die Nazis das Kloster besetzen und alle Mönche ausquartiert haben, wurden 112 russische Kriegsgefangene hier festgehalten. Alle 112 Menschen starben und wurden damals hinter der äußeren Hecke des Klosters verscharrt. Nachdem die Mönche zurück ins Kloster kamen, wurde 1948 / 1949 die Hecke versetzt und die Gräber in die Klausur (die Klosteranlage) aufgenommen. Man stellte beispielhaft 112 Grabsteine auf, versehen mit den Namen und soweit vorhanden, mit den Geburts- und Todesdaten. Die Gräber werden seitdem von den Mönchen gepflegt, ebenso wie der klostereigene Friedhof, auf dem neben den Mönchen auch drei klosterfremde Menschen begraben wurden. Unter ihnen ein Kind mit Behinderung, was oft im Klostergarten zu Gast war und diesen Ort geliebt hat.
Die Grabsteine sind alle gleich – warum? Weil die Mönche die Haltung vertreten, dass trotz der Stellung innerhalb des Ordens die Brüder, Pater und Äbte im Tod gleich sind.
Vorbei am Taschentuchbaum geht es zum letzten Ziel, dem Wildblumengarten. Die Sonne ist mittlerweile komplett über den Hügeln aufgegangen und scheint durch die Blumenpracht. Neben Fingerhut, Dahlien und Margeriten finden sich auch Maiglöckchen und zu Ostern Narzissen im Garten.
Wir gehen zurück und verabschieden uns bei einem Kaffee vor der Abtei voneinander. Die Stimmung war außergewöhnlich und ich bin froh, dass ich mich zu so früher Stunde aus dem Bett gewagt habe.
Der Klostergarten ist im Alltag der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Man kann aber Führungen beim Kloster anfragen. Einen Einblick vorab erhältst du hier.