Das Schloss Ahaus ist nicht zu übersehen, denn es thront mitten in der Stadt. Selbst im Dunkeln sind schemenhaft die Umrisse des rechteckig angeordneten Baus erkennbar. Ich habe meinen Partner gebeten, mich zum heutigen Konzert zu begleiten, denn ich bilde mir ein, dass ich Arbeit mit Romantik verbinden kann. Um zum Konzert im ersten Obergeschoss zu gelangen, müssen wir durch den Torbogen. Der beleuchtete Innenhof sieht durch den Torbogen ein wenig aus wie das Licht am Ende des Tunnels. Es ist kalt und recht dunkel, nur das Wasser in der Gräfte spiegelt das spärliche Licht.
Wir besuchen heute ein Konzert von „ensemble 4.1“, einer Gruppe bestehend aus fünf Musikern. Sie spielen Kammermusik und führen uns durch drei Epochen, lese ich im Programmheft, das mir an der Abendkasse in die Hand gedrückt wird. Schon geht es in den Konzertsaal. Stilvolle Akustikplatten hängen an der Decke und der Flügel, der von den Notenständern und Hockern umrundet wird, sieht ein wenig aus wie ein drapiertes Stillleben. Der Raum wird im hinteren Teil durch schwere schwarze Holzelemente durchbrochen. Dort eingelassen sind alte, prächtig verzierte Holztüren. Auf einer Infotafel lese ich, dass es zehn Türen aus dem Schloss Münster sind. Feine Holzschnitzereien in Blüten- und Blätterform zieren die Türen. Nur die Klinken fehlen.
Das Konzert soll um 19.30 Uhr beginnen. Fünf Minuten vorher füllt sich der Saal abrupt. Paare umarmen sich, Bekannte begrüßen sich. „Die letzten Male saßen wir da drüben. Heute sind wir das erste Mal auf dieser Seite“, höre ich eine Dame zu einem scheinbar befreundeten Paar sagen. Okay, denke ich, das hier scheint Suchtfaktor zu haben?!
Die fünf Musiker betreten die Bühne und lauter Applaus kommt auf. Dem Programmheft entnehme ich, dass das ensemble 4.1 aus Thomas Hoppe am Klavier, Jörg Schneider an der Oboe, Alexander Glücksmann an der Klarinette, Sebastian Posch am Horn und Christoph Knitt am Fagott besteht. Der Gruppenname setzt sich zusammen aus den vier Blasinstrumenten und einem Klavier.
Der erste Teil des Konzerts ist das Quintett Es-Dur KV 452. Ich erwähne diese Details, weil ich selbst Musiklaie bin. Das mit der Musik ist bei mir wie mit dem Wein: Ich kann sagen, ob es mir gefällt, aber mehr auch nicht. Dieses aus drei Sätzen bestehende Stück hat mir gut gefallen, aber mehr wegen der wahnsinnig tollen Akustik. Die Klänge sind satt und klar, die Instrumente sind einerseits klar herauszuhören, andererseits greifen sie ineinander und harmonieren miteinander. Mal laut, mal leise spielen die fünf Herren ihre Instrumente und jede kleine Nuance ist glasklar zu hören.
Nur weil es still wird, heißt es übrigens nicht, dass man laut losklatschen darf! Erst nach dem letzten Satz, also dem Ende des Stücks von Mozart, wird laut geklatscht und die positive Anspannung des Publikums scheint sich im Applaus zu lösen. Dann steht Alexander Glücksmann, der Klarinettenspieler, auf. Er stellt seine Musikerkollegen vor und schwärmt von Mozart, der die Kammermusik quasi erfunden und es geschafft hat Stücke zu schreiben, in denen die Blasinstrumente nicht nur die Begleitung vom Klavier sind oder umgekehrt. „Das nächste Stück“, führt er aus, „heißt ‚Jerusalem Mix‘. Normalerweise ist das ein Pita-Brot, in das die noch verbleibenden Lebensmittelreste des Tagesgeschäfts gefüllt werden.“ Hier sei es nun ein Mix aus Eindrücken aus Jerusalem, musikalisch verpackt vom Komponisten Avner Dorman. Tänze, der Besuch der Klagemauer, eine Hochzeit, eine Explosion, ein Hoffnungsgebet und der Rückweg zu den Tänzen sollen gleich zu hören sein.
Mir fällt es schwer alles heraus zu hören. Die Explosion verorte ich viel früher bis das Klavier tatsächlich laut und dunkel tönt. Das war sie dann wohl, die Explosion. Absolut verblüfft bin ich, als Thomas Hoppe, der Klavierspieler, Drumsticks hervorholt und auf den Saiten des Flügels spielt. Ich kann es haargenau sehen, denn der hochgeklappte Flügel ist wie ein gut geputzter Spiegel. Jeder Schlag mit den Sticks auf den Saiten ist klar zu erkennen. So etwas habe ich noch nie gesehen, ich dachte immer, Klavier könne man nur auf Tasten spielen.
Besonders faszinierend finde ich die Nähe zu den Musikern. Obwohl wir in der sechsten Reihe am äußeren Rand sitzen, kann ich hören, wenn die Musiker tief Luft holen, wenn sie ihre Instrumente in einer Pause zwischen den Sätzen durchpusten. Ich kann sehen, wie sich die Stirn in Falten legt, wenn ernste Töne gespielt werden, wie einzelne Musiker mit dem Kopf wippen oder bei besonderen Einsätzen mit dem Oberkörper mitwippen. Die fünf Männer kennen die Stücke in- und auswendig und scheinen sich trotzdem zu freuen, sie wieder aufführen zu dürfen.
Dann gibt es eine kurze Pause. Das letzte Stück ist von Heinrich von Herzogenberg und gefällt mir am besten. Am Ende des Konzerts gibt es zurecht mehrfachen tosenden Applaus.
Live-Musik ist selbst durch die beste Aufnahme nicht zu ersetzen! Auch als Laie der Kammermusik kann ich einen Konzertbesuch nur wärmstens empfehlen. Man bekommt mehr mit, kann die satten Klänge der einzelnen Instrumente kennenlernen und ist näher dran. Wenn man nicht arbeiten muss, hat so ein Abend auch viel Romantik für eine Verabredung zu zweit!
Die Veranstaltungsreihe Schlosskonzerte Ahaus findet noch bis zum 24. August 2024 statt. Die Tickets kosten je nach Konzert zwischen 15 Euro und 54 Euro. Diese gibt es sowohl auf www.ahaus.de als auch vor Ort bei Ahaus Marketing.